Samstag, 5. November 2011

Celtic passion - keltische Leidenschaft

Heute möchte ich als Hommage an Sinchen ganz genau darstellen, was sie mit ihrem Tipp, eine Filznadel zum Nacharbeiten zu verwenden, bei mir ausgelöst hat.
Es begann mit dem Kauf von zwei Filznadeln plus Holzgriff in Bielefeld. Fündig wurde ich nicht in einem Wollgeschäft, bekam aber den Tipp, es in einem Filz- und Bastelladen zu versuchen. Zuhause machte ich mich gleich an die Arbeit und fand die Tätigkeit zunächst nicht "prickelnd", sondern ziemlich stupide. Dann brachen kurz nacheinander auch beide Nadeln ab und ich musste in meinem Städtchen welche nachbesorgen. Dieses Mal nahm ich etwas dickere Nadeln, die es in einem Päckchen zu drei Stück gab.
Erneut machte ich mich ans Werk und staunte, wie schön die mit viel Liebe gestrickten Zöpfe oder Laces (Bänder)  herauskamen.
Daher erstmal einen ganz lieben Dank an Sinchen, ohne die ich wohl weiterhin etwas enttäuscht geblieben wäre über das Ergebnis des Wasch- und Filzvorgangs.

Auf dem folgenden Foto erkennt man deutlich den Unterschied zwischen dem Muster vor und nach dem Nadelfilzen:


Während ich so vor mich hinsinnierte, denn ein sachbezogenes Denken ist bei der Prickelei ja nicht vonnöten, fiel mir plötzlich ein, dass ich so etwas vor vielen Jahren schon einmal gemacht hatte, allerdings mit Breitbandfeder und Gitternetzen (grids) auf Papier.
Eine alte Leidenschaft kam in meiner Seele wieder zum Leben. So hatten wir in den 90er-Jahren mal einen Urlaub in Schottland verbracht, wo mir überall die keltischen Laces begegneten, vor allem auf den keltischen Kreuzen. Es war damals so, als würde ich etwas in mir Verschüttetes wiedererkennen. In solchen Momenten habe ich immer das Gefühl, als seien Anteile der eigenen Seele in einem anderen Zeitalter schon mal "dabei" gewesen. Dieses Gefühl möchte ich so beschreiben:

Ums Herz wird es warm.
Eine innere Freude unendlichen Ausmaßes kommt auf.
Es juckt einen geradezu, das Gesehene nachzuvollziehen, zu begreifen, nachzuarbeiten.
Man "jagt" regelrecht allem hinterher, was so aussieht.
Man ist erst zufrieden, wenn die Hände sich ans Werk machen können.
Es stellt sich ein großes Glück im Inneren ein, wenn man sein fertiges Werk in Händen hält.
Man fragt sich allen Ernstes: War dieser Seelenanteil von mir zu damaliger Zeit etwa schreibender Mönch in einem keltischen Kloster ... oder Steinmetz oder Holzschnitzer an einem Wikingerschiff oder an einer Stabkirche ... ???


Das Gefühl gleicht der Freude bei der Wiederbegegnung mit einem geliebten Menschen, den man sehr lange nicht gesehen und verloren geglaubt hat.


So ging es mir mit den keltischen Laces, anschließend mit dem "Book of Kells" , dann in Norwegen mit den Holzschnitzereien an den Stabkirchen, mit alten skandinavischen Traditionen, die auf der Wikingerkultur beruhen, dann auch mit der skandinavischen Sprache, die ich ohne Mühe und ohne Lehrgang so weit lernte, dass ich mich in Norwegen heute verständigen kann.

In Schottland war mein Fokus von dem Moment an auf Bücher gerichtet, die vermitteln, wie man Laces und Knots zeichnet. In einem Tourist Information Center wurde ich bald fündig:
 


Zuhause angekommen konnte ich es kaum erwarten, die Bücher zu studieren. Eine meiner derzeitigen Handzeichnungen mit Tusche und Breitbandfeder möchte ich hier zeigen. Es gibt noch mehr und auch größere davon:


Dies war zu der Zeit, als ich noch keinen Computer besaß. Die Abende verbrachte ich stundenlang - die Bücher studierend und probierend - am Schreibtisch. Auf dem folgenden Foto habe ich einmal das Prinzip herauszuheben versucht, weil es auch beim Nadelfilzen des Wikingermusters sehr hilfreich ist, die Struktur des Musters zu durchschauen. Die gelben Flächen sind es, die man mit der Breitbandfeder zuerst zeichnet. Es sind die Zwischenräume zwischen den Bändern. Erst dann werden die Begrenzungen der Bänder (hier mit weißer Linie angedeutet) mit einem Fineliner gezeichnet, wobei man immer beachten muss, ob sie über ein anderes oder unter einem anderen her führen. So ergibt sich dann das Muster:



Hier setze ich gerade mit der Filznadel an um eine Bandbegrenzung hervorzuheben. Dabei muss man sehr aufpassen, dass man dies an der richtigen Stelle ausführt. Dazu ist es hilfreich, immer wieder etwas Abstand zu nehmen und das Ganze in seiner sich entwickelnden Struktur zu betrachten.



Hier wird ein tiefer liegender Zwischenraum (eine kleine Raute) herausgearbeitet:



Zuletzt zeige ich die gezeichnete Struktur auf dem Gestrick (so wird es deutlicher) ...



... und entferne anschließend das Gestrick - übrig bleibt die angedeutete Zeichnung: