Dienstag, 22. November 2011

Die Apostellinde in Gehrden

Die Apostel-Linde im Schlosspark in Gehrden im Kreis Höxter

Herbstferien - mein Mann und ich fliegen aus, um einem alten Baum in der Nähe zu lauschen.
Es ist die Zwölf-Apostel-Linde in Gehrden.
Unserem Navigationsgerät folgend landen wir in Gehrden in der Schlossstraße, wo ein netter junger Mann uns den Weg durchs Tor des Schlossgeländes erklärt.
Es ist ganz einfach: Wir brauchen nur den Weg rechts um das Hauptgebäude herum zu gehen. Dort finden wir die alte Linde hinten links am Schulhof der kleinen Schule.
Bereits von Weitem sieht man die alte Linde protzig ihre Krone ausbreiten. Stolz strahlt sie ihre Kraft aus und in ihrem direkten Umfeld werden alle anderen Bäume zart und klein, ja fast unsichtbar.


Wir nähern uns der Linde und erkennen, dass sie einen massiven Stamm mit vielen Furchungen hat. "Fest und bodenständig bin ich!", so spricht ihre Standfestigkeit zu mir.


Und doch erzählt sie mir, während ich mich ihr immer mehr nähere, dass auch sie schon harte Zeiten hinter sich hat, denn Menschen mussten ihr helfen, damit ihre dicken Äste nicht auseinanderbrachen.
Im Inneren sehe ich hoch oben dicke Drahtseile, die den Baum zusammenhalten. Und unten hält ein Drahtgitter den Innenraum geschlossen. Ein kleines Loch nur zeigt mir, dass es neugierige Naturen gab, die den Innenraum erforschen wollten.
Oder waren es gelangweilte Jugendliche, die das Loch in den Draht rissen, um dem Baum mit Feuerwerkskörpern mal richtig einzuheizen? Solcherlei dumme Scherze mussten schon viele alte Bäume über sich ergehen lassen.


Die Apostel-Linde schweigt in dieser Beziehung.

Ich gehe auf ihre andere Seite. Auch dort erzählt sie mir vom Eingriff des Menschen. In diesem Fall muss es ein Baumarzt gewesen sein, denn die senkrechten Ränder der Höhle sind mit einer dunkelgrünen Substanz bestrichen, die wohl verhindern soll, dass der lebendige Stamm ausblutet.


Ich gehe ein Stück weiter, nähere mich dem Stamm der Lindenseniorin und entdecke bei genauem Hinschauen eine Ansiedlung winziger Pilze in einer ihrer Furchen. Wie kleine Lampenschirmchen strecken sie ihre Hütchen nach oben, obwohl genau zu sehen ist, dass ihre Wuchsrichtung zunächst in die Waagerechte führte.


Ich trete noch näher heran, luchse in den Innenraum hinein und erkenne, dass auch hier das Moderwesen Einzug gehalten hat. Dicke Stammteile und Äste aus der Vorzeit verrotten in der feuchtkalten Atmosphäre des schattigen Inneren. Pilzige Gerüche ziehen unter meiner Nase her.


Die alte Dame hinterlässt einen tiefen Eindruck bei mir. Neugierig befasse ich mit der Geschichte des Baumes, von der in dem Buch Deutschlands alte Bäume (S. Kühn, B. Ullrich, U. Kühn, 2002 BLV Verlagsgesellschaft München) erzählt wird. Zum Stammumfang geben die Autoren 9,80 m (im Jahre 1999) an.

Ich will gerade das Gelände verlassen, als mein Mann mich auf ein "Baby" aufmerksam macht. (In diesem Fall waren seine Baum-Sinne wohl wacher als meine, denn ich dachte nur noch an den Kaffee, der in Kürze meinen herbstfröstelnden Körper wieder aufwärmen sollte.)
So gehe ich zu einem anderen Baum, der nicht weit entfernt von der dicken Linde steht. Unsichtbar fast ... wie ich weiter oben schon sagte ...
Deutlich erkenne ich sofort an den Blättern, dass es sich auch bei diesem Baumfrischling um eine Linde handelt ... EINE? Ein ganzes Bündel von dünnen Stämmchen ragt aus dem Boden hervor!


Mein Mann hat sie zweimal gezählt: "Dreizehn sind es." - "Bist du sicher?" "Moment ... 1, 2, 3, 4... ja ... 13, es sind 13."


Wenn ich könnte, würde ich jetzt gern selbst noch einmal nachzählen, denn bei meinen Recherchen im Internet fand ich folgendes zum Tag des Baumes (30.4.2006):
Die "Golddorflinde" pflanzte man als Bündel aus 14 Linden! In der Nachbarschaft der alten Apostellinde wolle man auf die vereinliche Vielfalt der Vereine im Dorf Gehrden hinweisen.
Zuerst frage ich mich, ob da jemand den Pfahl mitgezählt hat, mit dem das Baumbündel noch heute gestützt wird. Dann sage ich mir:
Schade ... einen tieferen Hintergrund hat die Zahl 14 nicht? Was mag man auch mit der 14 verbinden? Zur 13 fiele einem ja noch etwas ein ... die 13. Fee etwa. Mit den 12 Aposteln scheint man wohl nicht mehr viel zu verbinden, denn von ihnen wird im Zusammenhang mit der neuen Gehrdener Lindengruppe kaum noch gesprochen. Oder hat Gehrden vielleicht 14 Vereine, denen man mit der Zahl Rechnung tragen will?

Nachdem ich die neue Pflanzung betrachtet habe, bin ich geneigt zu glauben, dass zu damaliger Zeit auch die alte Apostellinde aus einem Bündel von Junglinden gepflanzt wurde, die sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Baum vereinten.
Nun denn ... ein schmucker Stein vor der neuen Lindenanpflanzung erinnert an deren Gönner.

Seitenansicht:


Von oben:


Wer weiß, ob der Stein den Baum bis zu dessen Tod begleiten wird oder ob er gar eines schönen Tages umgesetzt werden muss, weil ein neuer massiver Stamm majestätisch seinen Raum fordert? - Mit dieser Frage im Kopf wende ich mich ein letztes Mal der alten Würdenträgerin zu und höre ein leises Lied in mir erklingen:

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süßen Traum
Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebes Wort
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort

(Volkslied v. Wilhelm Müller, berühmt durch Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise - keine Urheberrechtsverletzung, da der Dichter schon über 70 Jahre verstorben ist)


Meine Website baumfluestern.de existiert nicht mehr. Die Bildsignaturen deuten noch auf die Website hin, deren mir wertvolle Inhalte ich hier und da in mein Strickblog einfließen lassen werde.

1 Kommentar:

  1. Oben auf dem Knochen in Bad driburg steht auch so ein schöner Baum. Ich war früher hab ich dort häufig mit den Kindern Picknick gemacht. Auch jetzt Sitze ich noch gern auf der Bank davor. Lg Sabine

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ULL-Rike